Wo der Wind weht
Seit etwas mehr als zehn Jahren drehen sich die mächtigen Rotoren des Windkraftwerks Haldenstein unweit von Chur. Als die Calandawind AG die Anlage im Juni 2013 einweihte, war diese die grösste in der Schweiz. Inzwischen sind vornehmlich in der Westschweiz weitere Windparks in Betrieb genommen worden – im Kanton Graubünden aber ist keine Anlage mehr dazugekommen. Das liegt nicht etwa an mangelndem Interesse, sondern daran, dass die geplanten Projekte nicht realisiert werden konnten. So lehnte beispielsweise die Bevölkerung der Gemeinde Lugnez 2019 einen geplanten Windpark in einer Konsultativabstimmung ab.
30 Prozent des Potenzials nutzen
Im Mai 2017 sagte das Schweizer Stimmvolk mit der Annahme der Energiestrategie 2050 Ja zu einem Ausbau der erneuerbaren Energien. Für die Kantone war dieser Entscheid mit der Aufgabe verbunden, in ihren Richtplänen geeignete Gewässerstrecken sowie Eignungsgebiete für Windenergie auszuscheiden. Letztere sollen vor allem dazu beitragen, die Stromversorgung während der Wintermonate sicherzustellen, wenn Wasserkraft und Solarenergie weniger und inkonstanter Erträge liefern als im Sommer.
Der Kanton Graubünden machte sich bereits 2018 an die Umsetzung der Vorgabe. Die zuständigen Stellen im Amt für Raumentwicklung sowie im Amt für Energie und Verkehr entschieden sich, gleich den gesamten Bereich Energie im Richtplan zu revidieren. Das Ziel war, mit der Festlegung potenzieller Ausbaugebiete die Rechtssicherheit für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien zu erhöhen. Zudem soll der neue Richtplan dazu beitragen, die Ausbauziele des Bundes zu erfüllen. Diese sehen im Kanton Graubünden für 2050 eine jährliche Windenergieproduktion von 400 Gigawattstunden vor. Dies entspricht ungefähr 30 Prozent des vorhandenen Potenzials von rund 1'300 Gigawattstunden/Jahr.
Diskussion erwünscht
Bei der Erarbeitung des neuen Richtplans galt es, ein zentrales Anliegen der Raumplanung konsequent umzusetzen: Die Interessenabwägung zwischen Schutz und Nutzen. Bezogen auf potenzielle Gebiete für den Bau von Windkraftanlagen bedeutete dies, eine Balance zu finden zwischen dem Schutzanspruch von Natur und Landschaft und dem Ziel, den Zubau von erneuerbaren Energien zu fördern. «Gleichzeitig wollten wir eine gesellschaftliche Diskussion während der Auflage des neuen Richtplans ermöglichen», erklärt Jacques Feiner, Abteilungsleiter Richtplanung und Grundlagen im Amt für Raumentwicklung des Kantons Graubünden. «Aus diesem Grund verlängerten wir die vorgeschriebene Auflagefrist von einem Monat auf zweieinhalb Monate und schliesslich auf fünfeinhalb Monate bis Ende September 2023.» Die Ergebnisse der öffentlichen Auflage sind noch nicht bekannt, aber gemäss Feiner konnte eine rege Teilnahme verzeichnet werden.
Jede Gemeinde entscheidet selbst
Auch die Medien, die betroffenen Gemeinden und die Parteien diskutierten die Revision des Richtplans intensiv. Teilweise seien dabei auch falsche Informationen verbreitet worden, sagt Feiner. «Es trifft nicht zu, dass mit der Festlegung von geeigneten Gebieten im Richtplan die politischen Prozesse ausgehebelt werden.» Die Standortgemeinde (also üblicherweise die Stimmberechtigten) muss immer über die für einen Windpark notwendige Zonenplanänderung entscheiden und den kommunalen Behörden obliegt es anschliessend, die Baubewilligung für die geplanten Anlagen zu erteilen. Die betroffene Bevölkerung hat also stets die Möglichkeit, sich für oder gegen ein Windkraftvorhaben auszusprechen. Je nach Situation könne man die Richtplanfestlegung auch als Chance sehen, ergänzt Feiner. «Zeigt ein Investor Interesse, in einem Eignungsgebiet einen Windpark zu realisieren, so kann sich das auf die Finanzen der Standortgemeinde positiv auswirken.» Gemeinden ausserhalb der Eignungsgebiete hätten diese Möglichkeit hingegen nicht.
Umfassende Beurteilung
Die Auswahl der Eignungsgebiete für den revidierten Richtplan erfolgte für den ganzen Kanton nach denselben Kriterien: Dem Produktionspotenzial jedes Gebiets wurden 61 unterschiedlich gewichtete Schutzinteressen gegenübergestellt. In 52 Gebieten überwogen die Nutzungsinteressen grundsätzlich den Schutzinteressen, sodass sie in die Evaluation einbezogen wurden. Anschliessend wurden diese Gebiete nach drei Aspekten priorisiert:
- Nutzwertanalyse: Bewertung der Gebiete in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, gesellschaftliche Verträglichkeit und Umweltauswirkungen. Reine Wirtschaftlichkeitskriterien sind die Erreichbarkeit, die Beschaffenheit des Terrains oder auch die Nähe zu Stromeinspeisepunkten.
- Landschaftsbeurteilung: Kriterien wie die Einsehbarkeit von umgebenden Siedlungsgebieten und die zusätzliche Belastung. Bei bereits bebauten Gebieten wird von einer geringeren Belastung ausgegangen als bei unberührten Räumen.
- Produktionspotenzial: Anhand der zur Verfügung stehenden Daten berechnetes Potenzial zur Stromproduktion am Standort.
Alle drei Aspekte flossen zu gleichen Teilen in die Priorisierung der 52 Gebiete ein. Daraus ergab sich Folgendes: 19 Gebiete wurden der Eignungskategorie A zugeteilt, 6 Gebiete der Kategorie B und 13 Gebiete der Kategorie C. Die restlichen 14 Gebiete werden nicht weiterverfolgt. Der Richtplan soll künftig die in Kategorie A (Potenzial insgesamt 800 GWh/a) und B (200 GWh/a) eingeteilten Gebiete umfassen. Kategorie B darf indes nur beansprucht werden, wenn in den Gebieten der Kategorie A das vom Bund vorgegebene Ziel von 400 GWh/a nicht erreicht wird.
Wie geht es weiter mit der Windenergie im Kanton Graubünden? Ab Oktober werden die Eingaben ausgewertet und darauf aufbauend der Richtplan überarbeitet. Ziel ist, 2024 den revidierten Richtplan der Regierung zur Beschlussfassung vorzulegen.
Windenergie im Kanton Zürich
Der Kanton Zürich ermittelt derzeit ebenfalls Eignungsgebiete für den Eintrag im kantonalen Richtplan. Dazu wurden in einem ersten Schritt die Windverhältnisse 100 Meter über dem Boden modelliert. Anschliessend identifizierte man aufgrund von Ausschlusskriterien verschiedene Gebiete, in denen eine Windenergienutzung nicht infrage kommt – etwa aufgrund von ungenügendem Ertragspotenzial, der Nähe zu bewohnten Gebieten oder von schützenswerter Flora und Fauna. Derzeit läuft die Detailanalyse der übriggebliebenen Gebiete in Zusammenarbeit mit den möglichen Standortgemeinden, verschiedenen Verbänden sowie der Windenergiebranche. Auf Basis dieser Abklärungen werden dann die Eignungsgebiete definiert und in den Richtplan überführt. Die Revision des Richtplans wird anschliessend wie auch im Kanton Graubünden öffentlich aufgelegt.
Haben Sie Fragen?
Sie suchen nach weiteren Informationen? Gerne sind wir persönlich für Sie da.
Kontakt
Montag - Donnerstag
08.00 - 12.00 und 13.30 - 17.00 Uhr
Freitag
08.00 - 12.00 und 13.30 - 16.00 Uhr