Klimaangepasstes Bauen in den Bergen
Hitze, Stürme, Starkniederschläge, Trockenperioden: Wetterextreme nehmen mit dem Klimawandel zu. Das beeinflusst, wie wir bauen – oder besser gesagt, wie wir bauen sollten.
Naturgefahren sind im alpinen Raum allgegenwärtig. Mit dem Klimawandel und dem tauenden Permafrost treten Ereignisse wie Murgänge oder Hochwasser jedoch tendenziell häufiger auf. Daher sei zunächst der Schutz von Siedlungen und Infrastrukturen zentral, erklärt Professor Daniel A. Walser, Architekt sowie Dozent am Institut für Bauen im alpinen Raum (IBAR) der Fachhochschule Graubünden.
Naturgefahren und Wetterextreme
Essenziell sei ausserdem das Wassermanagement, das immer aufwändiger wird, um sowohl auf Starkniederschläge als auch auf Trockenheit vorbereitet zu sein. So sollen grosse Wassermassen nicht mehr schnell abgeleitet werden, wie dies früher gehandhabt wurde, sondern möglichst versickern können oder zumindest zurückgehalten werden. Das Erdreich sowie die Gewässer dienen dadurch als Wasserspeicher für Trockenperioden. Zugleich reduziert das Zurückhalten von Wasser die Abflussmengen bei starken Niederschlägen, was die Gefahr von Überschwemmungen mindert.
Unwetter zerstörten 1987 Teile von Poschiavo. Messsysteme und Auffangbecken sollen die Menschen in gefährdeten Ortschaften vor solchen Ereignissen schützen. Quelle: Youtube / SRF
Auch unsere Gebäude müssen wir an die sich wandelnden klimatischen Bedingungen anpassen. Dabei geht es nicht nur um die Reduktion von Treibhausgasemissionen, sondern auch um die Art und Weise, wie wir Gebäude konzipieren und nutzen.
Bis anhin werden Gebäude in unseren Breitengraden vor allem hinsichtlich kalter Temperaturen im Winter optimiert: mit einer gut gedämmten Gebäudehülle und einer effizienten Heizung. Mit steigenden Temperaturen gewinnt der sommerliche Wärmeschutz an Bedeutung, damit die Innenräume in heissen Sommern nicht überhitzen. Es kann davon ausgegangen werden, dass in Zukunft im tiefer gelegenen Mitteland mehr Energie fürs Kühlen als fürs Heizen von Gebäuden benötigt wird.
Klimaangepasstes Bauen
Gebäudetechnik macht es uns heute einfach: Ist es zu heiss, schalten wir die Klimaanlage ein. Vor allem mobile Klimageräte verbrauchen sehr viel Strom. Insgesamt sind technische Lösungen fürs Raumklima energieintensiv und zudem störungsanfälliger als bauliche Massnahmen. Aber man kann Gebäude so planen und bauen, dass Kühlung, Heizung und auch Kunstlicht möglichst wenig benötigt werden und dementsprechend einen geringen Energiebedarf haben.
Das ist eigentlich nichts Neues, geriet aber mit dem Fortschritt der Gebäudetechnik aus dem Fokus. «Frühere Generationen wussten genau, wie sie auf die klimatischen Herausforderungen mit spezifischen Bauweisen reagieren mussten», sagt Daniel Walser. So gibt es etwa für das Engadin kaum einen sinnvolleren Bautyp als die ursprünglichen Engadinerhäuser. Diese Bauten werden jedoch heute ganz anders genutzt als die früheren Bauernhäuser und müssen auch höhere klimatische Anforderungen erfüllen. Dies erfordert nicht nur bauliche Anpassungen, sondern verändert die Bauten gerade im ehemaligen Stallbereich komplett.
Traditionelle Bauweisen weiterentwickeln
Allerdings wandelt sich das Klima, und unsere Lebensweise und Bedürfnisse sowie die bau- und materialtechnischen Möglichkeiten ändern sich mit der Zeit ebenfalls. Deshalb kann es nötig sein, auch regional bewährte Bautypologien oder Systeme anzupassen. Zudem kann man von Bauten südlich der Alpen lernen, die für ein heisses Klima konzipiert sind, und allenfalls Konzepte für die heutige Zeit sowie die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und die Nutzungsanforderungen adaptieren.
Die Engadinerhäuser wurden im Lauf ihrer 800-jährigen Geschichte immer wieder neuen Gegebenheiten angepasst. Auch den heutigen Baubestand – ob historisch oder neueren Datums – sollten wir ohne Scheu weiterentwickeln. Dabei geht es nicht nur um baukulturelle Werte, sondern auch um die grauen Emissionen und damit ums Klima: Wird abgerissen und neu gebaut, verursacht dies in der Summe meist mehr Treibhausgasemissionen und Deponiemüll als ein Umbau.
Überhitzung vermeiden, Sonnenenergie nutzen
Gezielte bauliche Massnahmen, ergänzt durch den besonnenen Einsatz von Technik, machen Häuser energieeffizient und zukunftsfähig. Um das Licht und die Energie der Sonne möglichst gut zu nutzen, ohne dass die Innenräume überhitzen, sind mehrere Aspekte wichtig. Dazu zählt die thermische Speicherfähigkeit, die bei den Engadinerhäusern durch die Baumasse der dicken Mauern sichergestellt wird.
Des Weiteren sind vor allem die Ausrichtung des Baukörpers auf dem Grundstück, die Dimensionierung und Orientierung der Fensterflächen, ein aussenliegender Sonnenschutz für im Sommer stark besonnte Fenster und die Nachtauskühlung relevant. Damit ist das Herunterkühlen des Gebäudes durch nächtliches Lüften gemeint. Auch eine unversiegelte, begrünte Umgebung sowie Dach- und Fassadenbegrünungen wirken dank des Verdunstungseffektes kühlend. Asphalt und Beton hingegen verstärken aufgrund ihrer Wärmespeicherfähigkeit sommerliche Hitze. Im Winter können grosse Fensterflächen bei Sonnenschein einen essenziellen Beitrag zum Beheizen von Gebäuden leisten.
Gebäudehülle als Solarkraftwerk
Sehr konsequent auf die Nutzung der Sonnenenergie ausgelegt hat die Architektin Nadia Vontobel in Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft ein «Sol’CH» benanntes Wohnhaus in Poschiavo. Ins Auge fällt seine dunkle Gebäudehülle: Dach und Fassaden sind vollständig mit integrierten Photovoltaikmodulen belegt.
Über die Photovoltaik (PV) an den Fassaden wird die Energie der tiefstehenden Wintersonne optimal für die Stromproduktion genutzt. Die Dachneigung ist mit 35° ausbalanciert zwischen Sommer- und Winterertrag. So erzielt das Plusenergiehaus das ganze Jahr über grosse Produktionsüberschüsse. Im Winter kommt die passive Wärmegewinnung hinzu, die durch grossflächige Fenster gegen Süden sowie den Einsatz von Materialien mit Speicherkapazität erreicht wird.
«Wir zeigen mit dem Projekt auf, dass entsprechend geplante PV-Anlagen einen Beitrag zur zunehmend kritischen Stromversorgung im Winter leisten können», sagt Nadia Vontobel. Zudem habe die Auswertung der ersten beiden Betriebsjahre gezeigt, dass sogar die Nordfassade über ihre Lebensdauer doppelt so viel Energie produziert, wie für ihre Herstellung notwendig war.
Jede neu gebaute Fassaden- und Dachfläche kann neben ihrer Funktion als Gebäudehülle auch zur Stromversorgung genutzt werden – so lautet die These der Architektin, die sie gemeinsam mit der Bauherrschaft am Sol’CH-Projekt überprüft hat. Dabei ging es ihr nicht ausschliesslich um die konsequente Auslegung auf Energieeffizienz und -gewinnung, sondern auch darum, diese mit hochwertiger Architektur zu verbinden.
Architektur und Energieeffizienz
Um zu einem energetisch wie gestalterisch guten Ergebnis zu gelangen, sei es wichtig, das Haus nicht einfach mit PV einzukleiden, sondern die Solarenergie von Beginn an mitzudenken, betont die Architektin. Nur so lassen sich alle Aspekte von der Ausrichtung des Baukörpers auf dem Grundstück über Dachneigung und Fenster bis hin zu den Anschlussdetails optimal planen.
Dass sich auf diese Weise äusserst energieeffiziente Gebäude von hoher architektonischer Qualität umsetzen lassen, hat Nadia Vontobel mit dem Plusenergiehaus in Poschiavo gezeigt. Architektur mit integrierter Photovoltaik ist für die Architektin die logische Fortsetzung der Anpassung von Bauformen und Materialien an die heutigen Anforderungen und Möglichkeiten.