Alpine Solaranlagen: Strom das ganze Jahr über
Dringende Aufrufe zum Energiesparen gab es, anders als 2022, in diesem Winter bisher nicht. Doch weiterhin stellt sich die Frage: Wie kann die Schweiz im Winter genügend Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugen?
Eine oft genannte Möglichkeit sind hochalpine Solaranlagen. Diese produzieren im Winter bis zu 50% ihres Jahresertrags. Im Mittelland hingegen beträgt der Winteranteil von Strom aus Photovoltaik (PV) nur rund ein Viertel der Jahresproduktion.
Mehr Strom aus Photovoltaik im Winter
Derzeit sinkt die Solarstromproduktion in der Schweiz im Winter um etwa ein Drittel. Die Tage sind kürzer, die Sonne steht tiefer am Himmel und das reduziert die Produktion von PV-Strom signifikant. Alpine PV-Anlagen würden den Winteranteil erhöhen, weil sie während der kalten Jahreszeit gegenüber Anlagen im nebligen Mittelland von mehr Sonnenstunden, tieferen Temperaturen und den Reflexionen der Sonne im Schnee profitieren. Insgesamt können alpine Solaranlagen im Winter bis zu viermal so viel Strom liefern wie solche in tiefen Lagen. Das hat etwa die ZHAW mit einer Versuchsanlage oberhalb von Davos nachgewiesen. Um dieses Potenzial zu nutzen, müssen in den Alpen grosse PV-Freiflächenanlagen installiert werden. Diese hatten lange Zeit kaum eine Chance auf Bewilligung.
Im September 2022 haben National- und Ständerat aber im Eiltempo das Energiegesetz (EnG) geändert. Die darin definierten «dringlichen Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter» beinhalten unter anderem in Art. 71a EnG eine vereinfachte Bewilligungspraxis für Photovoltaik-Grossanlagen sowie Einmalvergütungen zur Unterstützung des Baus solcher Anlagen in der Höhe von maximal 60% der Investitionskosten.
Energiegesetz mit straffem Zeitplan
Für die erleichterte Bewilligung infrage kommen PV-Anlagen mit einer jährlichen Mindestproduktion von 10 GWh sowie einer Stromproduktion im Winterhalbjahr (1. Oktober bis 31. März) von mindestens 500 kWh pro 1 kWp installierter Leistung. Um die besondere Einmalvergütung gemäss dem inzwischen als «Solarexpress» bekannten Art. 71a EnG zu erhalten, müssen die Anlagen bis zum 31. Dezember 2025 mit mindestens 10% ihrer Produktionskapazität ans Stromnetz angeschlossen sein. Die erleichterte Bewilligungspraxis gilt für Gesuche, die bis Ende 2025 öffentlich aufgelegt wurden, oder bis die erwartete jährliche Gesamtproduktion aller rechtskräftig bewilligten Anlagen 2 TWh erreicht.
Das dringliche Gesetz hat einen regelrechten Run auf mögliche Standorte in den Alpen ausgelöst. Dieser sei inzwischen aber wieder abgeflaut, sagt Florian Wissmann, Leiter Photovoltaik bei Repower. Es habe sich gezeigt, dass die Investitionskosten für hochalpine Solaranlagen höher sind, als zu Beginn angenommen. Daher sei die Wirtschaftlichkeit trotz der hohen Investitionsbeiträge des Bundes nicht automatisch gegeben. Zusätzlich seien die Vorhaben sehr komplex, auch wegen des vom Gesetz vorgegebenen anspruchsvollen Zeithorizonts.
Solarstrom aus den Bündner Bergen
Graubünden verfügt über viele geeignete Standorte für PV-Grossanlagen. Anders als beispielsweise im Wallis kann das bestehende Stromnetz oftmals eine entsprechende zusätzliche Produktionsleistung aufnehmen, damit der neu produzierte Strom auch eingespeist werden kann. Zuständig für die Bewilligung von PV-Grossanlagen sind die Kantone. Der Kanton Graubünden hat einen Leitfaden publiziert, um schon von Anfang an die Spielregeln für eine erfolgreiche Einreichung eines Gesuchs klar festgehalten zu haben.
Repower hat zahlreiche Standorte im Kanton Graubünden geprüft. Für zwei Projekte in Laax und in Klosters hat das Bündner Energieunternehmen im Dezember 2023 die Baugesuche eingereicht. Ein weiteres bearbeitet das Unternehmen aktiv, drei Projekte sind noch in Prüfung. Bei diesen sei eine rechtzeitige Realisierung gemäss «Solarexpress»-Gesetz allerdings fraglich, sagt Wissmann.
Standorte in Skigebieten
Die Vorhaben in Laax und in Klosters haben bereits zahlreiche Hürden genommen: In beiden Gemeinden hat der Souverän den Plänen zugestimmt, und die Umweltverträglichkeitsprüfungen sind abgeschlossen. Zu stehen kommen sollen die Anlagen jeweils unmittelbar bei den Skigebieten. «Wir bevorzugen Standorte mit vorhandener Infrastruktur», erläutert Wissmann.
Dass die Anlagen nur in vorbelasteten Gebieten gebaut werden, fordern auch Umweltschutzorganisationen, die alpinen Freiflächenanlagen besonders in bisher unerschlossenen Gegenden kritisch gegenüberstehen. Denn der Bau, aber auch der Betrieb von Freiflächenanlagen und den dazugehörigen Infrastrukturen können die Lebensbedingungen von Flora und Fauna beeinträchtigen.
Projekt Madrisasolar oberhalb Klosters
In Klosters plant Repower bei der Bergstation Madrisa auf 2000 m ü. M. eine Anlage mit 12 MW Leistung. Auf 150 000 m² Fläche sollen dereinst 25 000 PV-Module 16,9 GWh nachhaltigen Strom pro Jahr produzieren. Das entspricht dem jährlichen Verbrauch von circa 4000 Haushalten. Rund 10% des Stroms würden die Klosters-Madrisa Bergbahnen abnehmen. Geplant ist, bifaziale, also beidseitig aktive PV-Module mit einem Neigungswinkel von 60 – 70° auf Tischreihen zu montieren. Sie würden 3 m hoch aufgeständert, damit sie nicht eingeschneit werden.
Die bestehende Stromleitung der Madrisa-Bergbahnen müsste erneuert und verstärkt werden, damit Repower sie mitnutzen kann. Das Teilstück zwischen Anlage und Bergstation, die etwa 1 km Luftlinie auseinanderliegen, sowie sechs Trafostationen müssten neu erstellt werden. Zudem ist eine temporäre Materialseilbahn geplant, um die vorhandene Strasse nicht mit Materialtransporten zu belasten und Konflikte mit der Alp- und Forstwirtschaft, dem Tourismus und den Eigentümerschaften von Maisässen zu vermeiden.
Laax-Vorab: Stromproduktion auf 2600 m
Beim zweiten Projekt, demjenigen in Laax, könnte Repower eine vorhandene Strasse für den Bau nutzen. Auch die Stromleitungen der Bergbahnen wären für das PV-Kraftwerk ausreichend. Wie bei Madrisasolar brauchte es noch eine Zuleitung sowie zwei Trafostationen auf dem Berg. Der ausgewählte Standort nahe der Bergstation Vorab ist ehemaliges Gletschergebiet und von welligen, zerklüfteten Felsflächen geprägt. Für diesen Untergrund eignet sich als Träger ein Seilsystem, das den Boden 250 m weit überspannen kann. Die rund 22 000 PV-Module werden zwischen zwei parallelen Stahlseilen befestigt. Sie sind 60 bis 70° geneigt und können saisonal dem Sonnenstand nachgeführt werden.
Die Seilkonstruktion ist materialsparend und hat weniger Berührungspunkte mit der Oberfläche verglichen mit einem Tischsystem. Dabei muss sie den harschen Bedingungen auf 2600 m ü. M. standhalten: Am Standort Vorab erreichen die Windspitzen über 200 km/h, was enorme Lasten auf die PV-Anlage und die Trägerkonstruktion verursacht. Und natürlich soll auch diese Anlage schneefrei bleiben, weshalb sie eine Stützenhöhe von 6,5 m hat. Angestrebt ist eine Jahresproduktion von 12 GWh bei 8.5 MW Leistung. Ein Teil des vor Ort produzierten Stroms soll für den Betrieb der Bergbahnen der Weissen Arena Bergbahnen AG im Gebiet Flims-Laax-Falera verwendet werden.
Mindestens 60 Jahre Betrieb
Um Einsprachen gegen den Bau der Projekte vorzubeugen, agierte Repower transparent und suchte jeweils früh das Gespräch mit Umweltschutzorganisationen und weiteren Involvierten, so Wissmann. Mangelnde Wirtschaftlichkeit könnte die Projekte noch stoppen. Damit Repower die 35 bis 45 Mio. Franken für eine Anlage investiert, muss die Wirtschaftlichkeit für 50 bis 60 Jahre gegeben sein. Florian Wissmann ist zuversichtlich, dass er mit seinem Team mindestens eines der geplanten Projekte realisieren kann.
Die Anlagen werden für 60 Jahre geplant; mit den Standortgemeinden hat Repower zudem eine Option auf Verlängerung um weitere 30 Jahre vereinbart. Nach rund 25-30 Jahren müssen die PV-Module ersetzt werden. Werden die Anlagen eines Tages endgültig ausser Betrieb genommen, fordert das Energiegesetz, sie vollständig zurückzubauen und die Ausgangslage wieder herzustellen.
Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen haben die Solarstrategie von Repower beeinflusst und den Fokus in Richtung grosse hochalpine Anlagen verschoben. Aber auch die kleinen Anlagen auf Dächern und an Fassaden bleiben relevant. «Für die Stromversorgung der Zukunft wird beides wichtig sein», ist Florian Wissmann überzeugt.